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Gespräch Jean-Claude Pellin

Mir lag immer am Herzen, den Wert des Spielens aufzuzeigen“
© Gilles Kayser

Jean-Claude Pellin ist Sozialpädagoge, hat einen Masterabschluss in Management und Coaching im sozialen Bereich und arbeitet als Regionalbeauftragter für den Service national de la jeunesse (SNJ). Außerdem ist er Brettspieldesigner und Vize-Präsident des Spieleclubs Spillfabrik, der zusammen mit Social Gaming Luxembourg, videogames​.lu, VDL – CAPEL und IFEN die Game On in den Rotondes organisiert.

Warst du schon immer spielebegeistert? Wie war dein Werdegang?

Jean-Claude Pellin: Ich habe in Brüssel ein Studium zum Erzieher gemacht und kam dort in Kontakt mit Ludotheken, sowohl solchen, die auf den Erziehungsbereich spezialisiert waren, als auch einigen, in denen man sich als Familie Spiele ausleihen konnte. In einer Großstadt gab es damals auch viel mehr spezialisierte Läden als hier. Zurück in Luxemburg habe ich dann in Eigeninitiative einen alten VW-Bus gekauft, ihn Ludobus getauft, und mit Unterstützung des SNJ wurde dieser dann in der non-formalen Bildung dazu genutzt, dem Personal zu zeigen, wie man Spiele auf pädagogische Art und Weise einsetzen kann. Parallel dazu hatte ich das Glück, Leute von einem Brettspielclub kennenzulernen, der Spillfabrik, einem schönen Treffpunkt für Gleichgesinnte, der nun bereits seit mehr als zehn Jahren besteht.

Denkst du, dass Veranstaltungen wie die Game On im Vergleich zu Treffen in kleiner Runde, beispielsweise Spieleabenden in Cafés, ein Publikum erreichen können, welches nicht unbedingt bereits in die Spielkultur initiiert wurde? 

Ich denke schon, denn es ist etwas anderes, als sich daheim zu einem Spieleabend zu verabreden, mit den gleichen Leuten, mit denen man immer bestimmte Spiele spielt und von denen man weiß, wie sie ticken. Spielen ist etwas Soziales, man lernt viel über sein Gegenüber, es kommt zu einem Austausch. Zu einem Spielefestival geht man jedoch nicht unbedingt, um sich mit anderen SpielerInnen zu messen, sondern, um neue Spiele kennenzulernen, um das breite Angebot zu entdecken. Die BesucherInnen können sich an einen Tisch setzen, sich ein Spiel erklären lassen, und wenn es ihnen nicht gefällt, gehen sie weiter zur nächsten Aktivität. Die Einstiegshürde ist demnach niedriger, es trauen sich auch Leute zur Game On, die sich im privaten Rahmen nicht zum Spielen treffen würden. Mir ist es auch wichtig, so viele Facetten des Spiels wie nur möglich zu zeigen, so wie die IllustratorInnen und AutorInnen mit ihren Prototypen, um zu verdeutlichen, dass hinter jedem Spiel ein Entstehungsprozess steckt. Manche Leute kommen nur zum Kneipenquiz, andere interessieren sich besonders für den Spieleflohmarkt. Auch Familien sind zahlreich vertreten. Es bleibt eine Herausforderung, das Interesse Jugendlicher am Spielen zu wecken, aber man kann Brücken bauen. Bei der Game On bekommen wir das zum Beispiel hin, indem wir Videospiele auf der gleichen Ebene präsentieren wie Brettspiele. Auch wenn man für eine bestimmte Aktivität zum Event kommt, dreht man normalerweise eine Runde durch alle Räume.

(unten: Game On 2021 © Mike Zenari)

Gibt es Hürden, die verhindern, dass Spielen als etwas Ernsthaftes wahrgenommen wird, dass das Spiel in der Gesellschaft seinen Platz als Kulturgut findet?

Pro Jahr kommen ungefähr 2.000 neue Spiele auf den Markt, der Erwachsenenbereich mit inbegriffen. Die Umsätze der großen Firmen zeigen eine steigende Tendenz, Initiativen wie das vor Kurzem eröffnete Spielcafé in Esch nehmen zu, und sogar Gemeinden stellen Anfragen, um Veranstaltungen rund um das Spielen auf die Beine zu stellen. Mir lag immer am Herzen, den Leuten die Spielkultur näherzubringen, den Wert des Spielens aufzuzeigen und die Daseinsberechtigung des Spiels neben anderen Kunstformen zu fördern. Der Schritt, die Game On in einer kulturellen Institution stattfinden zu lassen, war mir auch deshalb wichtig, weil er dazu beiträgt, dass die Spielkultur als solche wahrgenommen wird. Dennoch glaube ich, dass die Ansicht, dass Spielen etwas für Kinder ist, noch immer in den Köpfen vieler Leute verankert ist.

Wieso sollte man sich auch als Erwachsener dem Spielen zuwenden, welchen Nutzen kann es für den Menschen haben? 

In dem Moment, in dem man sich auf ein Spiel einlässt, taucht man – ähnlich wie bei einem Film oder einem Buch – in eine andere Welt ein, in der andere Regeln gelten, in der man, losgelöst vom Alltag, jemand anders sein kann. Der ausschlaggebende Punkt ist, sich diesen von der Realität losgelösten Moment zu erlauben, um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn man dies geschehen lässt, dann führt es zu einer Art Entspannung, die aber auch gelernt werden muss. Es gibt immer Menschen, die nicht mitspielen wollen, weil es ihnen nicht gefällt. Da ist dann immer die Herausforderung, ein Spiel zu finden, das die Leute anspricht. Unter der ganzen Vielfalt gibt es mit Sicherheit für jede Person das Passende. In der Spielewelt sind wir allerdings noch nicht so weit wie zum Beispiel bei Büchern: Auch jemand, der nicht viel liest, kann mit Begriffen wie Krimi oder Biografie etwas anfangen, während die wenigsten wissen, was zum Beispiel ein Worker-Placement-Spiel ist. Deswegen ist es für mich enorm wichtig, immer wieder die Diskussion zu führen, dass es eine öffentliche Mission ist, den Leuten das Spielen zugänglich zu machen.

(unten: © Gilles Kayser)

Spielen hat auch in der Bildung seinen Platz, beim Educator’s Day im Vorfeld der Game On werden ErzieherInnen und Lehrkräften zahlreiche Initiativen aufgezeigt. Wie prägt das Spiel Kinder?

Ich glaube, dass in jedem Spiel mindestens ein Lerneffekt vorhanden ist, der sich auch in irgendeinem Lehrplan im Schulunterricht wiederfindet. Spiele lassen sich in der Schule oder in der non-formalen Bildung gezielt einsetzen, allerdings ohne auf trockene, sogenannte Lernspiele zurückgreifen zu müssen. Da ich selber Spieleentwickler bin, widerstrebt mir so etwas immer. Kinder sind schlau, irgendwann merken sie, dass eine versteckte Aufgabe dahintersteckt, und wenn man damit das Spiel kaputt macht, hat man nichts gewonnen. Eltern kann man mit auf den Weg geben, dass auch bei einem simplen Würfelspiel bereits Lernprozesse stattfinden.

Wichtig ist außerdem der soziale Faktor. Hier wurde in der Vergangenheit der Fehler gemacht, dass zwischen Gesellschaftsspielen und Videospielen unterschieden und von Letzteren gesagt wurde, dass die soziale Interaktion fehlt. Heute verteufelt man Computerspiele nicht mehr, die Videospielewelt hat den Brettspielen beim game-based-learning sogar einiges voraus. Ich bin nicht der Meinung, dass man mit Kindern nur Kooperationsspiele spielen sollte. Ich denke, es ist wichtig, verlieren zu lernen, aber auch, gewinnen zu lernen. Es liegt in der Definition eines Spiels, dass es einen klar definierten Anfang und einen Schluss hat. In dem Moment, wo das Spiel aufhört, ist der Gewinner nicht der Bessere“ und muss lernen, keine falsche Arroganz zu entwickeln. Auch zu lernen, sich an Regeln zu halten, ist wichtig. Hier liegt der große Unterschied zum Freispiel, welches natürlich auch extrem wichtig ist für die Entwicklung von Kindern, besonders in den ersten Lebensjahren, und in der non-formalen Bildung besonders im Vordergrund steht. Es fördert die Kreativität, Kinder sind neugierig, wollen etwas entdecken, experimentieren. Gesellschaftsspiele können aber ganz gut mit dem Freispiel koexistieren.

Hast du persönlich ein Lieblingsspiel?

Ich verbinde Spiele immer mit den Leuten, mit denen ich sie spiele. Für mich ist es ein Erfolgserlebnis, wenn ich herausgefunden habe, welches Spiel zu einer bestimmten Person passt und wir auf diesem Weg zusammen Spaß haben. Da ich selber Spieleautor bin, will ich auch immer, dass am Tisch eine Interaktion stattfindet. Diese muss nicht verbaler Natur sein, aber mein Spielzug sollte einen Einfluss auf das Spiel und auf die Entscheidungen der MitspielerInnen haben, ansonsten könnte ich auch ein Einzelspieler-Spiel spielen, was mich aber nicht interessiert. Es sollte außerdem so sein, dass du und deine MitspielerInnen das Spiel spielen, und nicht umgekehrt.